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Der Roggenwolf
978-3-928143-90-5


Der Roggenwolf
Leseprobe

Auf dem Weg nach Haithabu

Der nächste Tag brach an, wie der vorherige aufgehört hatte. Thor raste mit seinem von zwei Ziegen gezogenen Wagen über den wolkenverhangenen Himmel, schickte Unmengen von Wasser und Wind über Dänemark und erschlug ab und zu einen Riesen, denn es blitze und donnerte von Zeit zu Zeit. Die Häuser Steenviks kauerten nass und frierend an der steinigen Bucht, in der das klare Wasser durch die schlammigen Zuläufe der Bäche und Rinnsale in eine trübe, braune Brühe verwandelt worden war. Die Bäume und Büsche in ihrem satten Grün standen vor Feuchtigkeit glänzend rings herum. Gräser und Blumen lagen niedergedrückt. Die Natur atmete schwer. Das Wasser wurde zur Last.

In der grob gezimmerten Scheune des Jarls stand nicht nur der Ochsenwagen, sondern ebenso vier dick eingepackte Männer in geöltem Lederzeug, leicht bewaffnet und schwer mit ihrem Schicksal hadernd. Unruhig von einem Bein aufs andere wechselnd, in sich gekehrt und wortkarg. Zu Kjell, Karl und Barne hatte sich noch mehr oder weniger freiwillig gezwungen Björn Triefnase gesellt, den Kjell als vierten Zugochsen an seiner Seite haben wollte. Triefnase war vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Seine Familie brauchte ihn nicht und erhoffte sich durch die Reise ihres zweitjüngsten Sohnes, mehr Männlichkeit und Mut in seinem Herzen. Nach einem Machtwort seines Vaters, trollte sich der ungeliebte Sohn. Selbst von seiner Mutter, die ihm sonst stets zur Seite stand, kam nicht der erhoffte Einspruch.

Als sie eben aufbrechen wollten, kam Björn Svenson gut gelaunt um die Ecke, mit seinem Langschwert und einem Speer bewaffnet. Er warf seine Provianttaschen zu den andern auf den Wagen, fing noch mehr an zu grinsen und sagte, von Thors Hammerschlägen begleitet, dass er sie unmöglich allein und schutzlos ziehen lassen könne. Barne tastete nach seinem Dolch.

»Dir werde ich zeigen, wer hier schutzlos ist …« presste er zwischen seinen Zähnen hervor. Doch Kjell hatte, kaum das Svenson den Raum betrat, Barnes Dolch unbemerkt an sich gebracht. Er kannte Svensons Grinsen, ebenso wie Barnes Temperament in solchen Situationen. Der Friese war im Allgemeinen zu faul, um auch nur zwei von der Hauswand fort zu gehen, Schritte zum Wasser abschlagen. Auf der anderen Seite war er bei jedem sinnlosen Kräftemessen dabei, wenn es um seine Ehre ging. Svenson und Barne waren diesbezüglich eine eingespielte Partnerschaft. Es wunderte jeden in Steenvik, dass sich diese beiden noch nie ernsthaft gegenseitig verletzt hatten, obwohl Barne dies mehrfach unmissverständlich versucht hatte.

»Wo in Hels Namen ist mein Dolch?« Barne blickte wild fuchtelt mit wutentbranntem Gesicht um sich. Schon hatte Björn vorsorglich in aller Ruhe sein Schwert gezogen und hielt die Spitze lächelnd gegen Barnes Kehle. Er ließ wirklich keine Gelegenheit aus, Barne bis aufs Blut zu reizen. Björn Svenson meinte es nicht böse. Er mochte Barne sogar irgendwie. Doch er konnte es nicht lassen, den fetten Friesen zur Weißglut zu treiben. Er war er fest davon überzeugt, dass er noch viel Spaß auf der Reise mit Barne haben würde.

Einige Tage später hatten sich alle an das Ziehen des schweren Ochsenwagens gewöhnt und waren nur noch mit dem jeweils nächsten Schritt beschäftigt. Keiner sprach. Thor jagte über sie hinweg. Trolle und finstere Zwerge blickten argwöhnisch aus den dänischen Wäldern beidseits des Weges auf sie. Dann, sobald einer den Blick fest auf sie richten wollte, wurden sie hinter Regenschleiern wieder zu Baumstümpfen und Felsbrocken. Der Wagen war alt. Er war schon mehrfach mehr schlecht als recht ausgebessert worden. Einige der Bauteile passten überhaupt nicht zueinander. Es sah aus, als hätte man aus drei völlig unterschiedlichen Karren einen erschaffen. Immerhin schien die Achse stabil und gerade zu sein. Ein Achsenbruch war das Letzte, was sie gebrauchen konnten. Die aus Eichenholz gefertigte Achse musste in regelmäßigen Abständen eingefettet werden, weil sie sonst ohrenbetäubend quietschte. Verglichen mit der eintönigen Schinderei des Ziehens war das Einfetten jedoch eine willkommene Abwechslung. Die vier fast mannshohen Räder waren mit stabilen Speichen ausgestattet. Immerhin schien Haakon Leifson hierbei nicht gespart zu haben. Zwar waren sie nicht von einem Eisenband eingefasst, doch war das Holz immer noch hart genug trotz der ständigen Feuchtigkeit.

Als es zu dämmern begann, suchten sie ein geeignetes Lager. Ein trockenes schied völlig aus, also sollte es wenigstens windgeschützt sein. Doch jede Bodensenke, die ein wenig Windschutz versprach, erwies sich als Schlammloch, jede Hecke als zugig und jeder umgestürzte Baum als viel zu klein, um ihnen allen Deckung geben zu können. Selbst Björn hatte mittlerweile seine gute Laune verloren. Alle zogen weiter ohne eine günstige Gelegenheit zu finden. Der mäßige, aber stete Wind kroch unter ihre regendurchtränkten Umhänge und biss zu, wie mit tausend kleinen scharfen Zähnen. Nur in der ständigen Bewegung war so etwas wie Wärme zu finden. Sie aßen und tranken, pissten im Gehen und verkniffen sich das Scheißen bis zum nächsten Einfetten der Achse. Jeder war am Ende seiner Kräfte, als sie weit nach Mitternacht des vierten Tages an einem Gehöft vorbei kamen.

Ein Hofhund schlug sofort an. Wenige Augenblicke später ein zweiter. Die Regentropfen drückten die dunklen Blätterdächer nieder und stürzten schwer in den aufgeweichten Waldboden. Trist und trostlos beugte sich der Wald um sie herum. Eine Wand aus schwarzer Nässe.

»Feucht und schwer ist das Land geworden«, bemerkte Barne. Es war seit ihrem Aufbruch sein erster Satz. Bisher hatte er sich auf einsilbiges Fluchen beschränkt.

»Welch erhabener Geistesblitz«, murmelte Svenson fast unhörbar misslaunig mehr zu sich selber. Leider jedoch laut genug, um an Barnes Ohr zu dringen.

»Was brummelst du aufgeblasener Sohn einer Ziege?« Barne blieb stehen und drehte sich bedrohlich langsam zu Svenson hin.

»Feucht und schwer. Das erinnert mich an den Schoß der alten Liten.«

Karl versuchte Barne auf andere Gedanken zu bringen. Der Friese lag oft bei der alten Liten. Ihr Name bedeutete soviel wie klein. Er passte aber nur zu ihrer Körperhöhe. Sie war kaum größer als ein Zwerg. Dennoch hatte sie, wie allgemein in Steenvik bekannt war, ein großes, warmes Loch welches noch nie einen Knaben oder Mann abgewiesen hatte. Sie nahm nichts dafür, obwohl sie selbst nur wenig besaß. Sie hatte Spaß daran, die Dorfjugend männlich zu machen, wie sie es nannte, und Knechten nach einem schweren Tag die Härte zwischen den Beinen zu nehmen. Liten lebte alleine, hatte nie Kinder in die Welt gesetzt, nie einen Mann an ihrer Seite gehabt aber schon alle Männer besessen. Niemand wunderte sich über die Gerüchte, dass sie es auch mit Pferden, Stieren, Hunden, Schweinen und Ziegenböcken treiben sollte, wenn kein menschlicher Schwanz in ihrer Nähe war. Es hieß ein Hengst habe sie unfruchtbar gestoßen.

Die anderen Steenviker Frauen hatten ein gespaltenes Verhältnis zu ihr. Einerseits nagte Eifersucht an ihren Herzen, wie die Schlangen an der Wurzel der Weltesche. Eine missgestaltete, weil zwergenwüchsige, die ihnen ihre Männer stahl! Andererseits wussten sie es wohl zu schätzen, dass ihre Männer bei Liten Wünsche und Gier ausleben konnten. Die Männer hätten auch ihre Frauen nehmen können, wie es ihnen beliebte, aber sie waren schlau und die Frauen stark. In den Nordländern brauchte man starke Frauen, vor allen in Notzeiten. Das hatte seinen Preis. Starke Frauen waren immer stark und ließen sich nicht einfach wieder schwach machen. So entstand im Laufe der Generationen eine weitestgehend gleichberechtigte Partnerschaft zwischen Mann und Weib, die auch vor dem Nachtlager nicht halt machte. Die Frau als Hüterin des Hauses. Der Mann als Ernährer. Selbstverständlich hatte der Mann das letzte Wort, doch eine kluge Frau wusste stets, wie sie ihm das letzte Wort in den Mund zu legen hatte. Vor diesem Hintergrund hatte Liten ein gutes Auskommen. Die meisten Männer achteten ihr Weib. Wer Gelüste hatte, die sein Weib nicht zuließ, der ging zu Liten. Sie nahm nichts dafür. Auch nicht für wirklich ausgefallenes, abartiges, schmerzhaftes. Sie wollte nichts haben. Liten konnte sich aber immer darauf verlassen, dass, wenn sie dringend etwas brauchte, es alsbald auf ihrem Tisch fand. Zur Zeit teilte die zwergenwüchsige ihr Lager schon einige Mondwechsel lang hauptsächlich mit Barne, was den Gerüchten um ihre Tierliebe verständlicherweise neue Nahrung gab. Ebenso nass, weit und irgendwie trostlos wie Litens Schoß war auch dieser Teil des Waldes. Auch die schleimigen, algenartigen Fäden die von vielen Ästen herab hingen, hatten erschreckende Ähnlichkeit mit gewissen Körperregionen. Kjell verscheuchte diesen Gedanken schnell wieder. Er blinzelte zu den anderen herüber, die auch alle ihren Gedanken an Liten nachhingen. Selbst Barnes Gesicht schien ein verträumtes Lächeln zu versuchen, bekam aber nur ein schmutziges Grinsen hin. Wenigstes war der Streit vergessen.

Das Gehöft war vom Weg aus schlecht zu sehen. Allem Anschein nach war es nicht sehr groß. Die Silhouette des Walds ließ keine Lichtung erkennen. Einen Wehrzaun oder eine sonstige Abgrenzung konnten sie nicht ausmachen. Nur ein schwacher Lichtschein aus einem der Fenster konnte seinen Weg durch das Dickicht finden. Die wahrscheinlich auch bei Tageslicht schwer einsehbare Lage abseits des Weges sorgte für so etwas wie Sicherheit. Auf alle Fälle würde es gewiss einen trockenen Platz für fünf völlig durchnässte und erschöpfte Männer bieten können.

Um die Bewohner nicht zu erschrecken, ging Kjell zunächst alleine zum Hof. Die anderen kauerten sich unter einer Kuhhaut eng zusammen.

Das Hundegebell wurde lauter und wilder, je näher Kjell dem Hof kam. Ihm war recht mulmig zumute. Im Dickicht konnte er kaum etwas ausmachen. Lediglich der schwache Lichtschein und das immer hektischer werdende Hundegebell wiesen ihm den Weg. Hunde, vor allem unbekannte Hunde, konnte er auf den Tod nicht ausstehen. Mit diesen konnte man nicht reden. Sie griffen einfach an. Es waren hirnlose Kampfbestien, die sich total in ihr Opfer verbissen, ungeachtet dessen, dass sie dabei selbst sterben könnten. Ihnen war Angst und Tod unbekannt. Er hasste Hunde. Er kannte den Tod in erster Linie aus Erzählungen, aber Angst hatte er persönlich erlebt. Seiner Meinung nach hatten nur dumme Menschen keine Angst. Wer klug ist, der kennt die Risiken, der weiß um die Gefahren. Kjell hielt sich für sehr klug, deshalb hatte er auch viel Angst. Er war nicht feige. Er konnte nur nicht verstehen, warum einige, vor allem junge Männer, sich immer wieder in Todesgefahr begeben mussten, um anderen zu beweisen, was für unerschrockene Kerle sie seien. Das ist dumm. Manchmal unterhaltsam, aber immer dumm. Sein Bruder würde sich sicherlich mit stolz geschwellter Brust dem Gebell nähern. Harald war so ein verblendeter Dummkopf: Von seiner eigenen Unbesiegbarkeit dermaßen durchströmt, dass Kjell schon fast ein wenig neidisch wurde.

Dünne Äste mit schon gelblich verfärbtem Laub streiften sein Gesicht. Er ahnte mehr ihre Farbe, als dass er sie erkennen konnte. Er hatte allerdings den ganzen Tag kaum etwas anderes vor Augen gehabt – vom schlammigen Boden einmal abgesehen.

Kjell tastete nach seinem Schwert. Ein Schwall Wasser entlud sich über ihn weil er dabei eine Tanne streifte. Er war erstaunt darüber, dass er soviel Nässe noch wahrnahm. Seine Hand griff ins Leere. Er erinnerte sich: Sein Langschwert hatte er auf dem Wagen zurückgelassen, um keine gewaltvolle Situation heraufzubeschwören. Nun verfluchte Kjell sich, war aber zu stolz, um noch einmal zurückzukehren. Es war stockduster, die Wolken berührten beinahe den Boden. Ein Wunder, dass die Männer überhaupt den schwachen Lichtschein in dem Dickicht wahrgenommen hatten. Ohne das Gebell der Hunde wären sie gewiss vorbeimarschiert. Es waren wahrscheinlich nur wenige Schritte vom Weg zum Hof, doch Kjell, der irgendwo durchs Unterholz stapfte, erschienen sie wie Tagesmärsche.

Er griff auf der Suche nach einem Knüppel um sich, stolperte, schlug der Länge nach hin. Neben sich liegend fand er brauchbares Holz. Ganz wehrlos wollte er nicht die Bekanntschaft zweier fremder Hunde machen. Jedes Geräusch traf ihn mitten ins Mark, während er immer langsamer werdend auf das Gebell zuging.

Immerhin sind die Zweige zu nass um zu knacken, dachte er, während sein linker Fuß in einem völlig aufgeweichten Kaninchenbau versank. Das Gebell steigerte sich abermals und hörte dann abrupt auf.

»Wer ist da?«

Kjell zuckte vor Schreck zusammen und blieb zusammengekauert, aufs Äußerste angespannt stehen. Er wagte es kaum seinen Fuß aus dem schlammigen Loch zu ziehen.

»Wer ist da? Gib dich zu erkennen!« erklang erneut eine feste, tiefe, leicht krächzende Männerstimme.

»Kjell Haakonson.«

Kjell zog seinen Fuß vorsichtig zurück an die Oberfläche und richtete sich langsam auf. Es kostete ihn einige Mühe ihn mitsamt seinem Schuhwerk wieder heraus zu bekommen. Er wollte lieber nicht auf die kleine freie Fläche vor den Hof treten, lieber im Unterholz bleiben.

»Sohn von Haakon Leifson, dem Jarl von Steenvik.«

Steenvik, so hatte damals Haakon die Bucht und die dazugehörende Gegend genannt. Damals, als sie im Eisriesen-Winter an der dänischen Ostküste gelandet waren. Die überschaubare Bucht war voller kleiner runder Kieselsteine und Haakon nicht gerade für seinen Wortwitz und Einfallsreichtum bekannt: Steenvik – Steinbucht.

»Kenn ich nicht. Hau ab!«

Kjell wunderte sich nicht. Schließlich pflegte die kleine schwedische Gemeinde nur wenige Kontakte zu benachbarten Ansiedlungen. Zum einen, weil sie viel zu weit voneinander entfernt lagen, obwohl Dänemark zu den am dichtesten besiedelten Landstrichen an der Ostsee gehörte. Zum anderen blieben die Steenviker lieber unter sich, um ihr Geheimnis besser bewahren zu können. Auch nach so vielen Jahren hätte ein Angehöriger der damals Getöteten Blutrache oder, was beinahe noch schlimmer für Haakon gewesen wäre, Blutgeld verlangen können.

»Ich bin mit einigen Freunden nach Haithabu unterwegs«, rief Kjell in die Richtung des Lichtscheins und verfluchte sich im selben Moment. Ein Fremder war gefährlich. Eine Horde Fremder mitten in der Nacht eine lebensbedrohliche Situation für einen Hof so weit ab von der nächsten Ansiedlung. Kjell wunderte sich sowieso, dass auf dem Weg zur größten Handelssiedlung der Nordmänner so wenig Höfe nahe der Straße zu finden waren.

»Wir haben hier genug kampferprobte Männer«, tönte es aus der Dunkelheit. Das war gelogen, das wusste Kjell. Er hatte das kleine, kaum hörbare Schwanken in der Stimme vernommen. Ein kalter Windhauch schlüpfte unter seine nasse Kleidung und strich unangenehm über seinen Rücken. Ihn fröstelte. Sein Vorrat an Höflichkeit leerte sich zusehends.

»Zwei Bogenschützen zielen gerade auf dich und meine Hunde kann ich auch kaum noch halten.« Wie auf Kommando bellten sie erneut los.

Das mit den Bogenschützen war wirklich übertrieben. Kjell sprach im strömenden Regen inmitten einer mondlosen, wolkenverhangenen Nacht, im Unterholz stehend mit einem schwachen Lichtschein, der sich mühsam durch die Finsternis kämpfte. Und in dieser Finsternis sollten nun sogar zwei Bogenschützen ihre Pfeile auf ihn gerichtet haben? Selbst bei Tag, so vermutete er, wäre das Unterholz noch zu dicht, um einen Pfeil sicher ins Ziel zu bringen. Kjell war die Widrigkeiten leid. Er hatte es satt. Er hatte das Ziehen des Karrens satt. Er hatte seinen Vater satt, seinen Bruder, den Regen, nochmals seinen Bruder und dann noch mindestens zwei Mal seinen Vater. Er kochte innerlich, versuchte jedoch den Zorn aus seiner Stimme zu nehmen. Es gelang ihm nicht vollständig.

»Wir sind fünf Männer. Halb erfroren, todmüde, bis auf die Knochen nass und wollen nur einen trockenen Platz zum Schlafen, verdammter Schweinedreck nochmal!«

Als Antwort erscholl erneutes Hundegebell.

»Ich lasse gleich die Hunde los!«

»Bitte!« Kjells Stimmung wechselte ins Verzweifelte. »Ich habe Silber dabei. Ich kann dich für deine Gastfreundschaft bezahlen.«

»Verschwinde endlich!«

Kjell wandte sich zum Gehen, konnte dann aber doch sein Maul nicht halten: »Wenn du so treffsichere Bogenschützen und kampferprobte Männer hast, wovor fürchtest du dich …«

Weiter kam er nicht. Kjell konnte regelrecht hören wie die Hunde losgelassen wurden und mit irrem Gebell den Hofplatz überquerten und auf ihn zurasten. Er drehte sich um und rannte so schnell es ging auf den Weg zurück. Die Hunde kamen näher. Sie waren klein genug um unter den Ästen, die Kjell mühsam zur Seite biegen musste, hindurch zu jagen. Er riss sich das Gesicht auf, stolperte und rannte wie von Sinnen weiter. Hier im Dickicht fand er kein Heil. Er musste Platz haben, um seinen Knüppel gegen die Bestien schwingen zu können. In dem Moment, in dem er aus dem Dickicht auf den Weg sprang, fiel der erste Hund ihn an. Kjell schaffte es gerade noch seinen Knüppel hochzureißen und sich um die eigene Achse zu drehen in Erwartung des Angriffes. Er stolperte, schlug mit dem Rücken auf den Weg auf. Er dankte den Göttern, dass dieser aufgeweicht war und nicht so hart. Seine Erleichterung und Dankbarkeit hielt nicht lange. Er rappelte sich halb wieder hoch, versuchte dabei seine Freunde zu warnen, bevor ein dunkles, nach nassem Hund stinkendes Muskelpaket ihn wieder zu Boden riss. Er schlug noch im Fallen mit aller Kraft auf die Stelle, wo er den Kopf des Untieres vermutete. Das morsche Holz seines Knüppels zerbrach ohne die geringste Wirkung zu zeigen. Kjell meinte lange Zähne zu spüren, die sich ihren Weg durch seine Kleidungsschichten bohrten. Ein weiteres Untier sprang aus dem Wald. Kjell dachte direkt in seine boshaft funkelnden Augen blicken zu können. Kjell versuchte das todbringende Maul des ersten Hundes von seiner Kehle fern zu halten. Barnes fetter Schatten stellte sich zwischen ihn und dem zweiten Tier. Er schien das Ungeheuer regelrecht im Sprung auffangen zu wollen. Die erste Bestie hatte sich in Kjells linker Schulter verbissen, als zwei Schatten sie mit brachialer Gewalt von ihm rissen. Kjell spürte wie Teile seiner Schulter durch die scharfen Zähne filetiert wurden. Als er wieder klar denken konnte, sah er den Friesen mit seiner Streitaxt über dem zweiten Tier knien. Karl und Svenson standen über dem anderen und keuchten. Björn Triefnase hockte hinter ihm seinem Freund und untersuchte seine blutende Schulter.

»Verdammtes Pack!« schnaufte Barne, »wir sollten sie alle töten.«

»Sie haben doch nur Angst«, keuchte Kjell beschwichtigend. Er wunderte sich selbst über seine sanftmütige Reaktion. Vielleicht war er durch die Verletzung auch einfach zu geschwächt um wütend zu werden. Er fühlte sich müde und leer. Schlafen, nur schlafen wollte er jetzt. Morgen würde alles wieder gut sein. Seine Augen wurden schwer. Nahm die Dunkelheit weiter zu? Er war auf einmal so unendlich müde.

»Wir haben alles gehört.« Der Franke brachte sein Gesicht dicht vor Kjells.

»Doch eine solche Antwort, gleich die Hunde loszulassen, halte ich für etwas übertrieben. Gastfreundschaft soll doch bei euch Dänen eine Frage der Ehre sein.«

»Lass uns rüber gehen und uns holen was uns zusteht! Diesem ehrlosen Gesindel werden wir schon mit Eisen und Feuer Gastfreundschaft einbrennen.«

Barnes Augen funkelten.

»Wie kann man nur so versessen auf Mord und Totschlag sein?«

Karl richtete sich wieder auf und schüttelte den Kopf.

»Wir kommen aus Svealand.«

Kjell schwanden zusehends die Sinne. Karl blickte verständnislos.

»Du sagtest, Gastfreundschaft bei uns Dänen, aber wir sind keine Dänen.«

»Darüber machts du dir jetzt Gedanken?«

Karl schüttelte verständnislos den Kopf.

»Ich gebe Barne nur ungerne Recht«, mischte sich Svenson ein, »aber dieser Bauer hat eine Lektion verdient. So behandelt man keine Reisenden, die um ein Nachtlager bitten.«

»Svenson hat Recht. Uns steht ein Nachtlager zu!« Barne nickte bestimmt.

Niemand außer Triefnase, der sich schweigend um Kjells Schulter bemühte, schien bemerkt zu haben, wie schwer ihr Anführer verletzt worden war. Sie stritten wie aufgebrachte Kinder, derweil Triefnase gegen Ströme von Blut um seinen Freund kämpfte.

»Was steht uns denn zu, Barne?«

Überraschenderweise war Karl Einohr nun sehr aufgebracht.

»Würdest du eine Mannschaft wildfremder Männer einfach so auf deinen Hof lassen? Ach nein, du …« die letzten Worte verkniff er sich.

Triefnase schniefte hoch und meldete sich nun zu Wort.

»Lass und trotzdem rüber gehen. Wir gehen einfach rüber. Vielleicht gibt´s da eine Scheune oder ein Grubenhaus etwas abseits. Wir schlafen ein paar Stunden und sind morgen früh mit dem ersten Hahnenschrei wieder weg. Kjell braucht jetzt Ruhe. Es sieht nicht gut aus. Auch ein wärmendes Feuer würde ihm gut tun. Und uns übrigens auch.« Er wandte sich wieder seinem verletzten Freund zu.

»Kjell, hast du dir einen Überblick über das Gehöft verschaffen können?«

»Zu dunkel. Aber wir Svea sind doch gastfreundlich. Wie waren es immer.«

Kjell atmete schwer und unregelmäßig. Die pochenden Schmerzen in seiner Schulter raubten ihm die Sinne. Nur mit Mühe konnte er den Wellen der Ohnmacht widerstehen.

»Wir zünden ihm den kompletten Hof an, diesem Feigling, der seine Tiere für sich kämpfen lässt. Dann haben wir ein hübsches Feuerchen.«

»Barne, es ist ernst.« Triefnase stand auf und packte Barne fest an den Schultern. Er schaute so gut es bei dieser Dunkelheit ging in die kleinen Schweinsäuglein seines Gegenübers.

»Kjell braucht jetzt Ruhe. Es sieht wirklich nicht gut aus. Kommt, lasst uns rübergehen. Barne, ich sage es dir noch einmal ganz deutlich: Wir gehen rüber und bleiben friedlich! Wir müssen dafür sorgen, dass Kjell auf alle Fälle nicht in weitere Kämpfe verwickelt wird. Also brechen wir kein weiteren Streit vom Zaun!«

Ein Blitz durchschnitt die Finsternis und erhellte für einen kurzen Moment das Gelände: Sie alle, auch Triefnase, waren mit Blut beschmiert. Barne, Björn Svenson und Karl waren vom Blut der Wolfshunde besudelt, die nur noch als ein Haufen blutiges Fleisch existierten und sich garantiert dafür am Tag der Götterdämmerung rächen würden.

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