Knud H. Thomsen: Speckseites Ostseefahrt

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Knud H. Thomsen: Speckseites Ostseefahrt ISBN: 3-9928143-07-3

–> Erste Auflage im Wolfgang Butt Verlag
–> Neuauflage im Heyne Verlag
–> Dann lange vergriffen ...
–> Seit 2004 im Köller Verlag wieder neu aufgelegt!

Roman von Knud H. Thomsen

Die neue Ausgabe verwendet die gleiche Übersetzung von Wolfgang Butt (hat auch die Mankell Romane übersetzt), allerdings mit »Anführungszeichen«.

Die skurilen Helden in diesem heiteren Abenteuerroman aus der Wikingerzeit reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, keineswegs mit der Weisheit und dem Heroismus, wie wir sie aus den Sagas und Heldenliedern kennen. Es sind sympathische, dem Wohlleben fröhnende Wikinger, die mit Witz uind trockenem Humor von ihren alljährlichen Handelsreisen und Raubzügen erzählen. Aber wenn Sigvald Gudmundsen, wegen seiner Leibesfülle heimlich "Speckseite" genannt, in See sticht, dann überschlagen sich die Ereignisse.

176 Seiten, 14,8 x 21 cm, ISBN 978-3-928143-07-3

Leserstimmen

Die Links beziehen sich teilweise noch auf die älteren Ausgaben vom Wolfgang Butt bzw. Heine Verlag.

edlbauer:

Kleine Wikinger

Historische Romane sind nun schon Jahre in Mode. Fast jede Buchhandlung besitzt ein eigenes Regal für die Geschichtsschmöker. Doch je mehr produziert wird, desto mehr Mist ist darunter. Bei Wikinger-Romanen heißt es besonder vorsichtig sein. Frans G. Bengtssons Röde Orm macht es für andere Autoren so schwer, originell zu sein, wie der Herr der Ringe als Maßstab für jegliche Fantasy-Literatur.

Keine Ahnung, warum ich mir dieses Buch von Thomsen dennoch (noch dazu unbesehen, bei Amazon) gekauft habe. Aber es gibt nichts zu klagen.

Während Röde Orm erkennbar in der Tradition der Helden isländischer Sagas steht, dreht ihnen Speckseite den Hintern zu. Sigvald Gudmundsen, genannt Speckseite, ist kein großer Kämpfer - und schlimmer, er wird von seiner Sklavin (und Geliebten) Wanka bevormundet. Kampf spielt im Leben Sigvalds und seiner Mannschaft keine Rolle - sie reden sich lieber aus der Gefahr; sie sind Händler und Diplomaten.

Speckseites Schiff "Fohlen" und die Mannschaft sind klein - klein wie eine Rollenspiel-Gruppe. Schonen-Glippe, Heilig-Asmund, Gunner Flachhorn, Sote Zweifinger, das macht gerade fünf Mann an Bord, alle liebevoll gezeichnet, gewöhnliche Kaufleute statt reiche Saga-Helden. Jeder hat etwas Besonderes: Heilig-Asmund ist etwa der einzige Christ, Gunner war schon einmal auf Plünderfahrt. Die alten Freunde müssen sich erneut zusammenraufen, während Ostseewellen ins Boot schwappen.

Thomsen erzählt episodisch, aber die Mannschaft entwickelt sich. Da einige Ziele der Reise von Beginn an feststehen (Sigvald sucht Wankas Familie in Kurland und den Handelsstützpunkt Bulk, wo er eine wertvolle Statue stehlen will), wirkt der Roman geschlossen.

Thomsens Erzähltechnik entspricht eher dem 18. Jahrhundert als dem 19. - der Roman stammt aus dem 20. Damit muss man in einem historischen Roman leider leben. Zum Glück mischt sich der Erzähler nicht oft besserwisserisch in die Unterhaltungen der Bootsbesatzung ein. Die Dialoge nämlich sind der beste Grund, das Buch zu lesen.

Die Wikinger reflektieren vorwiegend über Altwerden und Sexualität in einer Gesellschaft, die Jugend, Kraft und Schönheit anbetet. In "Speckseites Ostseefahrt" ist das Christentum als ein möglicher Gegenentwurf erkennbar, der aber keinesfalls postuliert wird. Die Gespräche der Wikinger bleiben diesseitig, witzig und konkret.

Dezember 2001, Florian Edlbauer

berlicum:

Ein wirklich witziges Buch mit klassisch nordeuropäischen Humor. Die einzelnen Charaktere der sechs Besatzungsmitglieder der "Fohlen" sind unübertrefflich dargestellt und die Handelsfahrt wird zu einer historischen Reise durch die Ostsee der Wikingerzeit."

langbogner:

Speckseite und seine Freunde sind das Wikinger-Gegenstück zu Röde Orm und seinen Gefährten. Sie sind der Meinung, daß das Lebensende von selber kommt, ohne daß man da nachhelfen muß, und ziehen deshalb den Handel riskanten Raubzügen vor. Aus windigen Situationen reden sie sich lieber heraus, bevor sie Schwerter oder ähnliches Werkzeug benutzen. Das Buch ist voll von schlitzohrigem Humor. Äußerst empfehlensweret!

Nach Jahren endlich wieder aufgelegt!

wcurrlin:

Die skurilen Helden in diesem heiteren Abenteuerroman aus der Wikingerzeit reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, keineswegs mit der Weisheit und dem Heroismus, wie wir sie aus den Sagas und Heldenliedern kennen. Es sind sympathische, dem Wohlleben fröhnende Wikinger, die mit Witz uind trockenem Humor von ihren alljährlichen Handelsreisen und Raubzügen erzählen. Aber wenn Sigvald Gudmundsen, wegen seiner Leibesfülle heimlich "Speckseite" genannt, in See sticht, dann überschlagen sich die Ereignisse.

nv-navigator 02-2004:

Speckseite, der Romanheld, ist ein etwas behäbiger und bequemer Wikinger, der Kämpfen am liebsten aus dem Weg geht, weil sie schlecht für`s Geschäft sind. Das Leben an der Küste ist hart, und man versucht, sich durchzuschlagen. Im Winter bei den Frauen am Herd und im Sommer gehts auf Fahrt. Ein durchaus lesenswertes und spannendes Buch für die Regentage im Hafen, das eine ganz andere Seite unserer Vorfahren beleuchtet.

s. Leseprobe 2

lesetipp24.de

5 Sterne: Einer der besten Wikingerromane

Speckseite? Ja, auch solch einen Spitznamen muss sich ein Wikinger gefallen lassen - zumindest wenn er weniger von seinen kämpferischen Qualitäten und mehr vom Handel lebt. So erzählt dieses Buch die meist lustige Geschichte eines Ostseehändlers, der nur im Notfall - dann aber richtig - zur Klinge greift. Seine Erfolge beruhen im Wesentlichen auf ausgeprägter Menschenkenntnis und kluger Schelmerei, die beim Lesen zu so manchem lauten Lacher führt. Der historisch interessierte Leser erfährt bei dieser Gelegenheit vieles über die damaligen Ostseeanrainer und ihre Beziehungen untereinander. In der Summe also eine sehr gelungene Mischung aus Komödie, Abenteuer und Information. Aus meiner Sicht wird jeder, der auch "Die Vinland Saga" und "Die Abenteuer des Röde Orm" mochte, diesen Roman nach der Lektüre zu seinen Lieblingen zählen. Bleibt zu hoffen, das eine weitere Neuauflage (die Vierte) kommt - verdient hat es dieses Buch mit Sicherheit.

4 Sterne: Satirische Parodie mit Antihelden vor histor. Hintergrund

Bei "Speckseites Ostseefahrt - Männer und Schiffe" handelt es sich um die Neuauflage des bereits 1985 unter dem dänischen Originaltitel erschienenen Romans "Moegene og Skibet", dessen frühere deutschsprachige Ausgaben (aus dem W. Butt Verlag und Heyne Verlag) seit einigen Jahren vergriffen sind. Torkel Gudmundsen, ein echter "Wolf des Meeres" aus Havn in Norden Jütlands raubte bei einer Wikingfahrt im kurländischen Bulk einen wertvollen Reliquienschrein, den er jedoch nicht mit nach Hause nehmen konnte, sondern fluchtartig verstecken musste.Infolge einer peinlichen Verletzung seines verlängerten Rückens, die er sich bei einem Gefecht mit nordischen Rivalen aus Gotland zugezogen hat, ist Torkel außerstande seine Beute zu holen und ersucht seinen Bruder Sigvald, genannt "Speckseite", dies für ihn zu übernehmen. Sigvald und seine ebenso betagten Kameraden, deren Namen ebenfalls Progamm sind, Gunner Flachhorn,, Stumm Visgot, Heilig-Asmund, Schonen-Glippe und Sote Zweifinger machen sich nun auf zu ihrer jährlichen Handelsfahrt...... Obwohl der Roman keine Jahreszahlen vorweist, lässt er sich jedoch infolge von Bemerkungen seiner Protagonisten auf den Anfang des 11. Jahrhunderts datieren. Über Dänemark herrscht König Sven "Gabelbart" (reg. 986-1014), der mit Hilfe der legendären Bruderschaft der "Jomswikinger" (aus Wollin an der Odermündung) den unbotmäßigen norwegischen Jarl Hakon unterwerfen will und Raubzüge nach England unternimmt. Ungeachtet Harald I., der bereits 826 das Christentum angenommen hatte und Sven's Vater Harald II. gen. "Blauzahn", der den gleichen Schritt unternahm, huldigt noch ein großer Bevölkerungsteil den alten Göttern oder praktiziert einen pragmatischen Mischglauben. Großfürst Wladimir, der warägischer (schwedischer) Abstammung ist und 988 das orthodoxe Christentum angenommen hatte beherrscht das Land der Rus, mit seiner Hauptstadt Känugard (Kiew). Neben dem Genuss von gutem und vor allem reichlichen Bier, ziehen Sigvald und seine Kameraden einen guten Tauschhandel jeder Rauferei oder kriegerischem Auftreten, einschließlich einem "Heldentod" vor. Den Sinn, Zweck und vor allem Nutzen christlicher Missionare und ihres "neuen" Glaubens stellen sie genauso infrage, wie sie sich über ihre alten Götter lustig machen können.... Knud H. Thomsen ist mit "Speckseites Ostseefahrt" eine zugleich geistreich-witzige, vor allem rabenschwarze Satire gelungen, in der ihre verschrobenen, aber schlitzohrigen Protagonisten ihre Version des Wikingerdaseins voll ausleben. Der Umfang des Romans (272 Seiten) ist entgegen anderen in epischer Breite angelegten Werken wie "Die Grönlandsaga" von Jane Smiley oder "Die Gudridsaga" von Kirsten A. Seaver von nahezu lakonischen Kürze. Die darin liegende Würze trifft auch auf die Dialoge der "Antihelden" zu, denen auch die umständliche Langatmigkeit mancher finno-ugrischer Osteeanrainer unverständlich ist. Das schnell zu lesende Buch ist nicht nur eine Parodie der helden- und ruhmreichen Wikingerwelt der "Aidan"-Romane von Stephen Lawhead, "Unter dem Drachenkopf" von Gert Feldmeier oder "Röde Orm" von Frans G. Bengtsson, sondern stellt sie geradewegs auf den Kopf. Mit 4 Amazonsternen zu bewerten, hat der unterhaltsame Roman, aufgrund seines Hintergrundes, das Prädikat "historisch" durchaus verdient.

midgard-forum

Beschreibt auf eine herrlich amüsante und doch nicht unernste Art episodisch das Leben als Händler auf der Ostsee und die Begegnungen mit den Bewohnern der Anrainerstaaten. - Ist wohl nur antiquarisch zu erhalten. Extrem gut nachspielbar für waelische Abenteurer.

parsimony

Wirklich sehr amüsant zu lesen.

Leseprobe 1

Kapitel 9

Als der Sonnenaufgang den Himmel im Osten rosa färbte und die Möwen aufs Meer hinaus flogen, gellten die gebrochenen Töne eines Kuhhorns über den Ort. Die Hunde brachen in ein vielstimmiges Geheul aus, und aus Häusern und Erdhütten kamen die Menschen heraus, als erwarteten sie einen Überfall. Auf den äußersten Klippen hatten die Nacht hindurch Wachen gesessen für den Fall, daß Ødmund Bos Langschiff auftauchte, und nun kam es unter gewölbtem Segel von Süden und nahm Kurs direkt auf den Ort.

Der Strand war schwarz von Menschen, als es einlief. Vorn am Steven stand Ødmund Bo und war nicht zu übersehen, obwohl er nicht gerade hoch aufragte. »Ich glaube, er hat das Glück auf seiner Seite gehabt«, sagte Thrond, der Bootsbauer. »Sonst wäre er nicht so schnell zurückgekommen. Ein gestandener Bursche ist das.«

»Den Eindruck habe ich auch«, entgegnete Sigvald. »Es dürfte kaum von Vorteil sein, sich ihm in den Weg zu stellen.«

Als das Schiff auf den Strand gelaufen und der Anker ausgebracht war, sprang Ødmund als erster in das flache Wasser. Er und die folgenden sechs Männer trugen je einen abgeschlagenen Kopf, den sie an den Haaren hielten. Am Strand legten sie ihre Trophäen in einer ordentlichen Reihe nieder und gossen danach das Wasser aus ihren Stiefeln.

Die abgeschlagenen Köpfe und die Dorfbewohner starrten einander eine Weile schweigend an. Ødmunds Männer waren nun alle an Land gekommen und verhielten sich so normal, als seien sie vom Fischfang zurückgekehrt. Dann trat Ødmund vor und verkündete, nun seien Helmi und Eiko und Takle und die drei Verschwundenen gerächt und könnten im Tod ihre Ruhe finden. Über die Begegnung mit den Piraten berichtete er nur knapp, daß sie sie unter der livländischen Küste eingeholt hätten, und daß der Ausgang des Treffens an dem abzulesen sei, was hier vor seinen Füßen läge. Das Diebesgut hatte man mit nach Hause gebracht, und das Piratenschiff war verbrannt worden, wie es nun einmal der Brauch war.

Ødmunds Worte lösten große Zufriedenheit aus, und man einigte sich darauf, die Köpfe zur Abschreckung und Warnung für jeden, der sich in unehrlicher Absicht näherte, an den äußersten Klippen auf hohe Pfähle zu stecken. Sote Zweifinger bemerkte, daß nicht alle eine so großartige Rache mit ins Grab bekämen. Zuweilen spekulierte er, ob ihn einer rächen würde, falls jemand ihn ums Leben brächte. Darauf sollte er sich lieber nicht allzu fest verlassen, meinten die anderen, auf jeden Fall wollte keiner ihm Rachepflicht anbieten. »Das hab ich geahnt«, erklärte Sote Zweifinger nicht ohne Bitterkeit.

»So wird es den meisten von uns gehen«, tröstete ihn Sigvald. »Zu unserem Andenken werden keine Preislieder gedichtet. Es sei denn, wir täten es selbst, solange noch Zeit dazu ist. Ich habe tatsächlich schon mal gedacht.« Wie aus einem Mund bestürmten sie ihn, damit zu warten, bis er wieder zu Hause und außer Hörweite wäre.

»Das ist keine gute Lösung«, sagte er, »denn Wanka hat für meine Dichtkunst nichts übrig. Es kommt vor, daß ich auf den Fjord hinausrudern muß, um sie auszuüben.«

»Das habe ich gemerkt«, sagte Heilig-Asmund. »Ich habe lange geglaubt, es sei ein Seehund.«

Sigvald würdigte ihn keiner Antwort. Stattdessen befahl er, daß sie sich zum Absegeln klar machen sollten, der Tag war noch jung, sie konnten weit kommen, wenn der Wind ihnen nicht allzu quer kam.

»Na, ihr segelt weiter«, sagte Thrond. »Tja, nun sollte euch auch nicht mehr allzu viel passieren können. Ødmunds Tat ist sicher schon im Süden wie im Norden der Bucht bekannt geworden, was ein brennendes Schiff bedeutet, wissen die meisten.«

Die sieben Köpfe haben wohl auch eine gewisse Wirkung«, meinte Sigvald. »Was uns betrifft, so würden wir wohl vorbeisegeln, um kein Risiko einzugehn.«

Thrond meinte auch, daß man die abschreckende Wirkung nicht unterschätzen könne. Dann drückte er ihnen allen die Hand und dankte ihnen für das, was sie getan hatten. Nicht wenige von den übrigen Ortsansässigen taten dasselbe, Ødmund allerdings nicht, aber er nickte ihnen immerhin zu. »Ich komme wohl an eurer Gegend vorbei, durch den Limfjord und hinaus in die Nordsee. Wenn ihr eine Nachricht für jemanden dort habt, werde ich wohl Zeit finden, sie zu überbringen.

»Ich habe eine Nachricht für eine Mutter, die ihren Sohn im Kampf verloren hat, wenn man es so nennen will«, sagte Sigvald. »Aber es ist nur recht und billig, daß ich sie selbst überbringe, denn ich war mit dabei, als wir ihn in Birka begraben haben.«

»Du hast ihn vielleicht auch erschlagen?« Ødmund zeigte ein schwaches Interesse. Aber das konnte Sigvald nicht behaupten und Ødmund fand, das sei auch nicht vorstellbar. Darauf erwiderte Sigvald nichts, sondern lenkte seine Schritte zum Strand.

Schonen-Glippe meinte, diese Worte würden manchen das Schwert haben ziehen lassen. Abgesehen davon, den Schädel gespalten zu bekommen, war Hohn so ziemlich das Schlimmste, was einem ehrlichen und freien Mann widerfahren konnte.

»Fandst du nicht, daß da schon genug lose Köpfe lagen?« rief Sigvald ärgerlich. »Zwar würde meiner der schönste sein, aber ich ziehe vor, ihn da zu behalten, wo er jetzt sitzt.«

Viele waren am Strand und sahen zu, als sie von Land abstießen und das Segel setzten. Als sie die äußerste Landspitze umrundeten, starrten sieben Köpfe mit gebrochenen Augen und klaffenden Mündern hinter ihnen her, die Vögel machten sich schon an ihnen zu schaffen.

Sie hatten beinah das innere Ende der Bucht erreicht, als ein Frühjahrssturm losbrach und sie auf dem offenen Wasser festhielt. Sigvald mußte Gunner Flachhorn zu Hilfe rufen, um die Fohlen mit dem Bug gegen die Seen halten zu können, die anderen hatten wechselweise damit zu tun, zu lenzen oder sich festzuklammern.

»Das hat uns gerade noch gefehlt«, schrie Sigvald. »Wir hätten opfern sollen, bevor wir die Finnen verlassen haben, aber man kann doch nicht immer an alles denken. Nicht einmal eine Kanne Bier haben wir noch, um die Götter zu besänftigen.«

Die Fohlen ritt unruhig auf den Seen und machte ihrem Namen alle Ehre. Unaufhörlich kamen Brecher über die Seite herein und drohten die Männer von den Beinen zu reißen, die Holzkonstruktion gab fügsam in allen Ecken und Fugen nach, mal bäumte sich die Fohlen hoch auf, mal tauchte sie tief ein. Aber sie war gut gebaut, ein alter Zuber vielleicht, doch sie gab nach, ohne zu bersten und sammelte sich nach jedem Überrollen unbeeindruckt zu einem neuen Anlauf.

Stumm-Visgot kam dahergerutscht und riß Sote Zweifinger von den Beinen, sie landeten unter dem Halbdeck und ergingen sich in Schimpfworten. In der strahlenden Sonne, die normalerweise nicht zu einem Sturm gehört, sahen sie mehrere Schiffe beigedreht liegen, im Kampf um Leben oder Untergang. An dem, was hier passierte, war nichts Ungewöhnliches, sie hatten es so oft durchgemacht, daß sie keiner gemeinsamen Beratung bedurften, um die beste Art und Weise, mit heiler Haut davonzukommen, herauszufinden. Aber natürlich gerieten sie sich darüber in die Haare, es hagelte nur so Flüche und Verwünschungen. Daran zeigte sich, daß sie in mehr als einem Sinn im selben Boot saßen.

»Das dauert nicht lange«, brüllte Schonen-Glippe. »Oststürme sind wie Frauen, aufbrausend aber leicht wieder beruhigt.«

»Man kann hören, daß deine Kenntnis von Frauen zu wünschen übrig läßt«, heulte Sigvald. »Wenn Wanka in Fahrt kommt, kann sie tagelang weitermachen.«

»Ja, sie kann selbst einem mutigen Mann wie mir die Haarwurzeln gefrieren lassen«, schrie Gunner Flachhorn.

»Dazu braucht es auch nicht viel«, fiel Heilig-Asmund ein. »Das ist wohl der Grund, warum du nie geheiratet hast, obwohl dein Aussehen sicher auch mitgespielt hat.«

»Ja, wie hast du eigentlich ausgesehen, bevor du dieses Profil bekamst?« fragte Sigvald, der neben ihm stand. »Du mußt vollkommen anders ausgesehen haben.«

Gunner Flachhorn erwiderte, er wisse es nicht, weil bei ihm zu Hause Spiegel Mangelware gewesen seien. Aber wenn er wie sein Vater ausgesehen hätte, liefe es auf dasselbe hinaus. »Aber kannst du durch die Nase flöten?« fragte er.

Erst gegen Abend flaute der Sturm soweit ab, daß sie wieder einigermaßen zur Ruhe kamen. Die See ging immer noch hoch, aber die unmittelbare Gefahr schien vorüber, und als noch der Mond sein weißes Gesicht zeigte, fanden sie, daß es Zeit sei, etwas in den Magen zu bekommen. Kalten Speck und nasses Brot gab es, und Wasser, falls einer noch nicht genug davon hatte. Schonen-Glippe bestimmte den Standort nach den Gestirnen, wagte jedoch nicht, ihnen einen geeigneten Ankerplatz an der Küste zu versprechen. Also verbrachten sie noch eine Nacht auf dem Meer und schliefen bibbernd in ihren triefnassen Kleidern.

Sie begrüßten den Anbruch des Tages mit großer Erleichterung und segelten weiter nach Osten. Nach ein paar Tagen tauchte gerade voraus das flache Sumpfland um die Mündung des Neva-Flusses auf. Große Wachtürme waren ringsherum aufgerichtet, denn die schwerbeladenen Schiffe, die hier ein und aus fuhren, übten eine starke Anziehungskraft aus auf viele, die es vorzogen, den Ertrag der Mühsal anderer zu ernten. Die Fohlen wurde denn auch angerufen und mußte Auskunft geben über Reiseziel und Ladung, eine Handvoll schwerbewaffneter Krieger enterte an Bord, und Stumm-Visgot mußte als Dolmetscher zahlreiche Fragen beantworten und danach Sigvald erzählen, daß der Fürst von Aldeigjuborg eine Abgabe dafür verlangte, daß man den Fluß befahren durfte. Dies war eine neue Bestimmung, die Sigvald sehr verärgerte, aber ein erneuter Blick auf die Krieger überzeugte ihn davon, daß es vernünftig war, die verlangte Summe zu bezahlen. Dafür erhielt er ein Holztäfelchen mit einem Zeichen, das ihm freie Fahrt bis zur Stadt sicherte.

»Das hat man ehrlichen Kaufleuten früher nicht zugemutet«, erklärte er, als die Krieger in passender Entfernung waren. Als die Schweden hier das Sagen hatten, ging das Ganze geruhsamer zu, aber seit dieses vermaledeite Rus-Volk sich breitgemacht hat, haben sie ganz schön was gelernt. Na wenn schon, was wir hier bezahlt haben, schlagen wir auf die Waren wieder drauf, das ist gute Kaufmannsart,«

Leseprobe 2

Zusammengestellt von C. Scheidt

Sie hatten beinah das innere Ende der Bucht erreicht, als ein Frühjahrssturm losbrach und sie auf dem offenen Wasser festhielt. Sigvald mußte Gunner Flachhorn zu Hilfe rufen, um die "Fohlen" mit dem Bug gegen die Seen halten zu können, die anderen hatten wechse-lweise damit zu tun, zu lenzen oder sich festzuklammern. - Das hat uns gerade noch gefehlt, schrie Sigvald. Wir hätten opfern sollen, bevor wir die Finnen verlassen haben, aber man kann doch nicht immer an alles denken. Nicht einmal eine Kanne Bier haben wir noch, um die Götter zu besänftigen.

Die "Fohlen" ritt unruhig auf den Seen und machte ihrem Namen alle Ehre. Unaufhörlich kamen Brecher über die Seite herein und drohten die Männer von den Beinen zu reißen, die Holzkonstruktion gab fügsam in allen Ecken und Fugen nach, mal bäumte sich die "Fohlen" hoch auf, mal tauchte sie tief ein. Aber sie war gut gebaut, ein alter Zuber vielleicht, doch sie gab nach ohne zu bersten und sammelte sich nach jedem Überrollen unbeeindruckt zu einem neuen Anlauf.

Stumm-Visgot kam dahergerutscht und riß Sote Zweifinger von den Beinen, sie landeten unter dem Halbdeck und ergingen sich in Schimpfworten. In der strahlenden Sonne, die normalerweise nicht zu einem Sturm gehört, sahen sie mehrere Schiffe beigedreht liegen, im Kampf um Leben oder Untergang. An dem, was hier passierte, war nichts Ungewöhnliches, sie hatten es so oft durchgemacht, daß sie keiner gemeinsamen Beratung bedurften, um die beste Art und Weise, mit heiler Haut davonzukommen. Aber natürlich gerieten sie sich darüber in die Haare, es hagelte nur so Flüche und Verwünschungen. Daran zeigte sich, daß sie in mehr als einem Sinn im selben Boot saßen.

- Das dauert nicht lange, brüllte Schonen-Glippe, Oststürme sind wie Frauen, aufbrausend aber leicht wieder beruhigt.

- Man kann hören, daß deine Kenntnis von Frauen zu wünschen übrig läßt, heulte Sigvald. Wenn Wanka in Fahrt kommt, kann sie tagelang weitermachen.

- Ja, sie kann selbst einem mutigen Mann wie mir die Haarwurzeln gefrieren lassen, schrie Gunner Flachhorn.

- Dazu braucht es auch nicht viel, fiel Heilig-Asmund ein. Das ist wohl der Grund, warum du nie geheiratet hast, obwohl dein Aussehen sicher auch mitgespielt hat.

Erst gegen Abend flaute der Sturm soweit ab, daß sie wieder einigermaßen zur Ruhe kamen, Die See ging immer noch hoch, aber die unmittelbare Gefahr schien vorüber, und als noch der Mond sein weißes Gesicht zeigte, fanden sie, daß es Zeit sei, etwas in den Magen zu bekommen. Kalten Speck und nasses Brot gab es, und Wasser, falls einer noch nicht genug davon hatte. SchonenGlippe bestimmte den Standort nach den Gestirnen, wagte jedoch nicht, ihnen einen geeigneten Ankerplatz an der Küste zu versprechen. Also verbrachten sie noch eine Nacht auf dem Meer und schliefen bibbernd in ihren triefnassen Kleidern.

Sie begrüßten den Anbruch des Tages mit großer Erleichterung und segelten weiter nach Osten. Nach ein paar Tagen tauchte gerade voraus das flache Sumpfland um die Mündung des Neva-Flusses auf. Große Wachtürme waren ringsherum aufgerichtet, denn die schwerbeladenen Schiffe, die hier ein und aus fuhren, übten eine starke Anziehungskraft aus auf viele, die es vorzogen, den Ertrag der Mühsal anderer zu ernten.

Die "Fohlen" wurde denn auch angerufen und mußte Auskunft geben über Reiseziel und Ladung, eine Handvoll schwerbewaffneter Krieger enterte an Bord, und Stumm-Visgot mußte als Dolmetscher zahlreiche Fragen beantworten und danach Sigvald erzählen, daß der Fürst von Aldeigjuborg eine Abgabe dafür verlangte, daß man den Fluß befahren durfte. Dies war eine neue Bestimmung, die Sigvald sehr verärgerte, aber ein erneuter Blick auf die Krieger überzeugte ihn davon, daß es vernünftig war, die verlangte Summe zu erlegen. Dafür erhielt er ein Holztäfelchen mit einem Zeichen, das ihm freie Fahrt bis zur Stadt sicherte.

Das hat man ehrlichen Kaufleuten früher nicht zugemutet, erklärte er, als die Krieger in passender Entfernung waren. Als die Schweden hier das Sagen hatten, ging das Ganze geruhsamer zu, aber seit dieses vermaledeite Rus-Volk sich breitgemacht hat, haben sie ganz schön was gelernt. Na wenn schon, was wir hier bezahlt haben, schlagen wir auf die Waren wieder drauf, das ist gute Kaufmannsart.

Der Fluß war breit aber schlammig, Sandbänke und Untiefen behinderten das weitere Fortkommen. Ein paar Mal mußten sie bis zum Gürtel ins Wasser und die "Fohlen" frei schieben. Auf den weiten, ertrunkenen Ebenen sahen sie viele Krieger zu Fuß und zu Pferd, und sie erfuhren, daß der Fürst von Aldeigjuborg mit seinem Bruder vom Nordende des Ladogasees in Streit lag. Gunvor hat mir viele Ermahnungen mit auf den Weg gegeben, aber es fragt sich, ob ich mich an alles erinnern kann.

Gunner Flachhorn meinte, das könne niemanden verwundern. Wenn man nur hinausginge, um einen Eimer Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen, war sie der Auffassung, man käme nicht lebend zurück. StummVisgot fragte mißtrauisch, wieso er davon wüßte, und Gunner Flachhorn erinnerte ihn an einen Winter, als er mit Gicht im Bett gelegen hatte, und er als der gute Nachbar, der er war, Gunvor verschiedentlich zur Hand gegangen war.

- Aber du brauchst dich nicht zu erhitzen, fügte er schnell hinzu. Gunvor lädt nicht ein zu dem, woran du jetzt denkst, mehr will ich dazu nicht sagen.

Sie ist in vieler Hinsicht eine prächtige Frau, erklärte Stumm-Visgot, aber in bezug auf das, was du glaubst, was ich denke, geb ich gerne zu, daß es nicht mehr die Hauptsache für sie ist. Aldeigjuborg lag etwas südlich vom unteren Ende des großen Ladogasees, eine Stadt aus Holz; Dächer und Wände waren aus schweren Balken, die Straßen waren mit Planken belegt, und die Häuser lagen hinter starken Palisaden, als erwarteten die Bewohner jederzeit einen Angriff. In der Nähe des Flusses lag die Burg des Fürsten wie eine geballte Faust.

Es war 36 Tage her, daß sie von Vendsyssel aufgebrochen waren. Und ins Rus-Land war der Frühling gekommen, mit hellgrünen Birken, Huflattich und Löwenzahn und munteren Vögeln, die die Luft mit Gesang erfüllten. Große Schwärme von Enten, Gänsen und Schwänen belebten die Ufer des Ladogasees, und die ersten Mücken aus den Sümpfen in den Flußniederungen hatten ihren Einzug in die engen Gassen der Stadt gehalten.

Aus dem großen und unbekannten Land, das sich ungeahnte Tagesreisen weit nach Osten hin erstreckte, kamen Kaufleute mit großen Lasten von Pelzen und erstaunlichem Schmuck und Waffen, und Angehörige von Stämmen, die entlang den großen Flüssen tief im Süden lebten. Seide. Glas, Gewürze, Wein, Perlen und Edelsteine, Elfenbein und duftende Holzarten wetteiferten mit betörend duftenden Ölen, Weih-rauch und getrockneten Früchten darum, die schwachen Seelen anzulocken.

 

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