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Aber lachen muß ich trotzdem
978-3-928143-38-7

Aber lachen muß ich trotzdem - Erinnerungen, Leseprobe:

Aus der Familienchronik

Wer hat schon das Glück, in einem Schloß geboren zu werden? Ich hatte es – aber nur fast: Im Alten Schloß zu Neustadt an der Aisch wurde ich zwar nicht auf die Welt gebracht, doch geschah das einige Straßen weiter, im Schlößlein, im Neuen ging ich später zur Schule. Ich war, weiß Gott, kein Schloßfräulein.

Das Markgrafenschloß selbst muß früher ein imposantes Bauwerk gewesen sein, denn auch heute noch vermögen die Überreste den Betrachter zu beeindrucken. Heute befindet sich dort das Stadtmuseum, während in dem idyllischen, verträumten Schloßhof Konzerte und volkstümliche Veranstaltungen stattfinden. Unter Markgraf Friedrich Georg begonnen, wurde es 1626 fertiggestellt, als er auch über Neustadt herrschte. Die Stufen der Wendeltreppe im Turm sind so niedrig, daß die Markgräfin mit dem Pferd bequem ihre Zimmer im Obergeschoß erreichen konnte. In diesem Turmgebäude wohnten die Eltern von Hans W. Geißendörfer, der vielen als Erfinder und Regisseur der Lindenstraße bekannt ist. Sein Vater, der als Pfarrer in der Wehrmacht arbeitete, fiel während des zweiten Weltkriegs in Rußland, nur 36 Jahre alt.

Am vierten April des Jahres 1913 erblickte ich das Licht der Welt, im Schlößlein Nr. 3. Die Wohnung bestand aus drei kleinen Zimmern und einer noch kleineren Küche, allesamt hohe Räume, die zwar in der Deckenmitte durch eine verschnörkelte Verzierung geadelt wurden, aber keinen Abort besaßen. Dieser lag außerhalb unserer Wohnung.

Mein Vater, der Reser, hieß eigentlich Andreas und war das vorletzte von fünf Kindern. Seine Eltern waren einfacher Herkunft: die Mutter Köchin, der Vater Bierkutscher im Gasthaus Zur Krone am Marktplatz von Neustadt an der Aisch. Als die beiden genug gespart hatten, kauften sie sich ein bescheidenes Anwesen an der Bleich.

Hier kamen im letzten Jahrhundert die fünf Kinder zur Welt. Hans, der Erstgeborene, bewirtschaftete später den kleinen Hof in der Bleichgasse; er war fleißig und wortkarg. Das Regiment führte seine Frau, die es unbedingt zu etwas bringen wollte. Sie brachte es bis zum Gefängnis, denn sie hatte Milch gepanscht.

Als zweites Kind wurde die Anna geboren. Aus ihr wurde ein quirliges Mädchen, rechtschaffen und sparsam. 1908 heiratete sie den ersten Wasserwart von Neustadt, den Reizammer Johann. Als dieser im letzten Kriegsjahr 1918 fiel, mußte die Witwe ihren einzigen Sohn allein großziehen.

Auch Anna hatte feste Zukunftspläne, schuftete wie ein Pferd und gönnte sich nichts, denn sie wollte einmal in einem eigenen Haus leben. Nach Jahren der Entbehrungen hatte sie es dann auch erreicht: sie zog in die eigenen vier Wände am Grünen Berg im Stadtpark.

Der Georg, genannt Schorsch, war der dritte der Geschwister und in seiner Art der eigenwilligste. Nach einer Lehre beim Steinmetz Müller zog es ihn hinaus aus der Enge der Kleinstadt in die weite Welt und er ging auf die Walz. Der Aufenthalt an den verschiedenen Orten hatte seinen Horizont erweitert, und seine handwerkliche Begabung machte ihn nach der Rückkehr in die Heimat zu einem begehrten Bildhauer.

Schorsch arbeitete an der Nürnberger Frauenkirche und am Schönen Brunnen, verdiente gut und feierte gern. Er war einer der ersten stolzen Besitzer eines Fahrrads in Neustadt und seine rauschenden Feste gaben tagelangen Gesprächsstoff. Auch als der Georg, mein geliebter Onkel Schorsch, aufgrund einer Kriegsverletzung seinen Bildhauerberuf nicht mehr ausüben konnte und Pedell am Gymnasium, danach Mesner an der Stadtkirche geworden war, blieb sein bildhauerisches Geschick gefragt.

Anfang der zwanziger Jahre befand sich der steinerne Neptun am Neustädter Marktplatz wieder einmal in einem erbärmlichen Zustand. Der Zahn der Zeit hatte an ihm genagt, und zudem hatten ihm ausgelassene Bubenstreiche arg zugesetzt. Da galt es nun für den Onkel Schorsch die Zinken der Gabel auszubessern, vor allem aber einen neuen linken Arm einzusetzen.

Um ihn möglichst naturgetreu zu gestalten, mußte Frau Mali herhalten. Stundenlang stand sie, den Arm kokett auf die Hüfte gestützt, Modell, und später sah man dann auch, daß der männliche Neptun einen durchaus wohlgeformten weiblichen Arm aufzuweisen hatte.

Onkel Schorsch war auch der erste Tote, der mir in meinem jungen Leben begegnete. Noch kurz zuvor, im September 1921, war ihm das Töchterchen Mariele geboren worden, das ich mir unbedingt genauer anschauen wollte. Weil ich mich aber vor der gestrengen Großmutter fürchtete, bat ich meine Mutter, mit mir zusammen hinzugehen, aber Mutter sagte nur: »Da gehe ich nicht mit, denen bin ich nicht fein genug, das mußt du schon allein tun.«

Weil ich nun aber das Neugeborene unbedingt sehen wollte, ging ich los. Meine Verwandten wohnten im Karner, der dem Heiligen Michael geweiht war, also dem Führer der abgeschiedenen Seelen. Ziemlich gehemmt ging ich die breiten überdachten Steinstufen hinauf, betrat durch die hohe Tür, die meist offenstand, einen Vorplatz und stand nach ein paar weiteren Stufen vor einer Gittertür, an der sich die Klingel für die Wohnung befand. Auch da ging's noch weiter nach oben, weil erst eine enge Stiege zur eigentlichen Wohnungstür führte. Ich läutete und wartete klopfenden Herzens. Dann kam von oben die Stimme der Großmutter: »Wer ist denn da?«

»Ich bin es«, sagte ich kleinlaut, »die Gretel, ich möchte so gern das Mariele anschauen.«

»Das paßt jetzt gar nicht«, kam es schroff zurück, »komm halt ein andermal.«

Ich war gekränkt, und so gab es kein andermal.

Nun also war der Onkel Schorsch gestorben und sollte begraben werden. Der Lungensteckschuß, den er als Andenken aus dem Krieg heimbrachte, hatte ihn nun also doch getötet. Ich erfaßte den Tod noch nicht, war jedoch sehr traurig und ziemlich aufgeregt wegen der Beerdigung.

Zwischen der Kirche und dem Karner nahmen wir Aufstellung zum Friedhofsgang. Irgend jemand stellte mich zwischen meinen Bruder und meinen Cousin und drückte jedem von uns ein Blumensträußchen in die Hand.

Da bockte plötzlich der Hans und sagte: »Mit einem Maadla in der Mitte geh ich nicht.«

Ich weinte, aber er murmelte mir nur zu: »Alt’s Greinmeichela.« Diesen Ausdruck konnte ich schon gar nicht leiden, und so weinte ich noch stärker.

Tante Betty stellte meinen Bruder zur Rede: »Aber das ist doch deine Schwester!«

»Aber a Maadla ist sie trotzdem«, antwortete Hans trotzig.

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